Wie viel Bildbearbeitung ist ok?
Immer wieder werde ich gefragt, wie meine Bilder eigentlich aussehen, wenn sie direkt aus der Kamera kommen – verbunden mit einer gewissen Skepsis gegenüber digitaler Bildbearbeitung. Ich vermute mal, die Skepsis kommt daher, dass zu viel Bildbearbeitung nicht mehr als „realistisch“ empfunden wird. Bei Einigen spielt sicherlich auch der Wunsch die Rolle, selbst eindrucksvolle Landschaftsfotos zu schießen, dabei aber aufwändige Bildbearbeitung zu scheuen.
Um es vorwegzunehmen: Ich glaube jeder sollte selbst definieren, wie viel Bildbearbeitung am Ende passend ist. Ein Richtig oder Falsch gibt es nicht, allein der persönliche Geschmack entscheidet. Ich bin aber der Meinung, dass grundsätzlich jedes Bild bearbeitet werden sollte. Warum? Es kann per Definition keine unbearbeiteten Bilder geben und in der Fotografie gehört die Nachbearbeitung seit eh und je zum kreativen Prozess dazu.
In der Zeit des Films begann die Bearbeitung eigentlich schon mit der Auswahl des Films und fand anschließend mit der Entwicklung die Fortsetzung. Wenn ich Artikel über die Geschichte der Bildbearbeitung lese, bin ich immer wieder erstaunt, wie viel auch in der analogen Zeit am finalen Bild gearbeitet wurde. Heute sind die Möglichkeiten durch Photoshop und Co aber natürlich deutlich vielfältiger, wodurch man es schnell auch mal übertreiben kann. Sicherlich auch ein Grund für die Skepsis gegenüber Bildbearbeitung.
Das Missverständnis: Die Bildbearbeitung der Kamera überlassen
Ein genereller Irrglaube ist es, dass Bilder die direkt aus der Kamera kommen unbearbeitete Originale seien. Speziell bei JPEGs kann das gar nicht stimmen. Hier bestimmt die Kamera – teilweise per Motivautomatik – wie Farben, Kontraste und Schärfe letztlich aussehen. Der Nutzer kann zwar eingreifen, aber der Großteil der Arbeit liegt bei der Kamera. Ein iPhone stellt angeblich pro Photo 24 Milliarden Berechnungen an, damit das Bild so aussieht, wie die Kamera es für richtig hält. Wie kann man da noch von unbearbeiteten Fotos sprechen?
Warum also sollte man der Kamera den Job überlassen, zu entscheiden, wie ein Foto am Ende aussehen soll? Und ist es nicht auch so, dass die Automatiken in den seltensten Fällen, Bilder produzieren, die dem entsprechenden, was man gerade sieht? Wer schon einmal einen Sonnenuntergang mit der Motivautomatik fotografiert hat, ist doch am Ende meist enttäuscht darüber, wie flau der Himmel aussieht – oder wie unterbelichtet der Vordergrund ist.
Wer RAW fotografiert kommt um Bildbearbeitung nicht herum
Völlig alternativlos ist Bildbearbeitung bei RAW-Fotografien. Wer wirklich den Bearbeitungs-Aufwand scheut, der sollte bei JPEGs bleiben. RAWs bieten viele technische Möglichkeiten. Sie bilden den kompletten machbaren Dynamikumfang der Kamera ab und erlauben bspw. auch Anpassungen des Weißabgleichs. Das Problem: RAWs müssen immer durch einen RAW-Converter interpretiert werden. Und ohne Bearbeitung sind sie meist kontrastarm und flau.
Wer aber die beste Qualität haben möchte, kommt um RAWs nicht herum. Das digitale Negativ muss dann aber genauso entwickelt werden, wie Negative früher zu Filmzeiten. Wer schon einmal die Schatten in einem Bild hochgezogen hat, das auf die hellen Bereiche belichtet wurde, wird beeindruckt sein, von den mit RAW verbundenen Möglichkeiten. Und ich bin mir sicher, dass für Viele auch hier schon exzessive Bildbearbeitung beginnt.
Bildbearbeitung zur Korrektur von Fehlern
Nun aber zur Frage, wie viel Bildbearbeitung eigentlich sinnvoll ist – ganz subjektiv für mich. Ich korrigiere meine Bilder, um zwei Dinge zu erreichen: Erstens um Fehler im Bild zu korrigieren, zweitens um Stimmungen zu intensivieren.
Ersteres ist für mich alternativlos. Ich glaube hieran scheiden sich die Geister auch nicht – oder nur kaum. Wer schon einmal etwas Sensordreck aus dem Bild entfernt hat oder sich in mühevoller Kleinarbeit an die Entfernung von Flares im Bild macht, der hat seine Bilder letztlich bearbeitet und verbessert, aber eben nicht wirklich verfremdet. Insofern denke ich, geht das für die Meisten in Ordnung.
Fehlerkorrekturen können jedoch auch umfassender sein, bspw. um die technischen Grenzen einer Kamera zu überwinden. Ist es zu viel Bildbearbeitung, wenn man zwei Aufnahmen zusammenfügt, um den Dynamikumfang einer Kamera so zu steigern, dass er in etwa meiner Wahrnehmung entspricht? Schaue ich durch meine Augen in einen Sonnenuntergang, springt meine Sicht schnell von hellen Bereichen in der Sonne zu dunklen Bereichen im Vordergrund. Mein Hirn passt das Bild ständig an und setzt es im Kopf zu einer ausgewogenen Szene zusammen. Eine Kamera kann das so nicht. Belichte ich korrekt auf die hellen Stellen im Himmel, habe ich einen zu dunklen Vordergrund. Belichte ich auf den dunklen Vordergrund, führt das zu ausgebrannten Stellen im Himmel. Also ist es doch nicht übertrieben, wenn ich zwei Aufnahmen mache und diese anschließend in Photoshop zu einer stimmigen Komposition zusammenfüge? Alternativ kann ich auch einen Grauverlaufsfilter verwenden, womit die Bearbeitung eigentlich wieder in der Kamera beginnt. Dennoch vermute ich, für Einige ist das zu viel Bearbeitung, was wahrscheinlich am Aufwand liegt, den man für ein gutes Blending betreiben muss.
Stimmungsintensivierung
Um Stimmungen zu intensivieren, passe ich vor allem auf lokaler Ebene im Bild Kontraste, Helligkeiten, Farben und Schärfe an. So kann man den Blick des Betrachters im Bild lenken, denn dieser folgt intuitiv den hellsten, kontrastreichsten, farbigsten oder schärfsten Bereichen. Hier ist es wohl eine Frage der Intensität, an der sich die Geister letztlich scheiden. Zu viel Anpassungen können schnell als unnatürlich empfunden werden – bei zu wenig fällt der Unterschied nicht auf. Ich versuche immer, mit so geringen Anpassungen wie möglich auszukommen, diese sind dann aber zahlreich und sehr detailliert.
In Kombination aller bis hier angesprochenen Anpassungen, kann man schon von relativ intensiver Bearbeitung sprechen. An dieser Stelle wird es wohl für Viele zu viel des Guten. Denn bis man ein RAW gut entwickelt hat, Fehler im Bild korrigiert hat, ggf. einen Blend erstellt hat und dann noch mit vielen granularen Anpassungen bestimmte Aspekte im Bild optimiert hat, vergeht nicht nur viel Zeit – es setzt auch eine ganze Menge Vorwissen voraus. Und diesen Aufwand scheuen Viele einfach. Das kann ich verstehen.
Nachvollziehbar kritischer man Blendings von verschiedenen Zeitpunkten oder Sky-Replacements sehen. Hier werden Dinge kreiert, die so definitiv nicht in der Realität vorkamen. Fotografiere ich die Lichter einer blauen Stunde und kombiniere sie mit dem Himmel des Sonnenuntergangs, ist das einfach nicht Real. Zu keiner Zeit hätte man die Szenerie so betrachten können. Dient ein Foto aber nicht allein dokumentarischen Zwecken, sondern verfolgt auch einen künstlerischen Anspruch, dann ist das für mich ok. Es muss nur gut gemacht sein.
Die Grenzen: Wann wird es zu viel?
Und genau das ist eigentlich die zentrale Frage: Wann ist Bildbearbeitung zu viel? Hier gibt es für mich recht einfache Antworten. Dienen die Fotos der Dokumentation, bspw. in der Pressefotografie, ist alles ab der RAW-Entwicklung zu viel. Hier geht es um Authentizität und nicht um Kunst.
Geht es aber eher um Kunst, muss jeder für sich selbst entscheiden, wann Schluss ist mit der Bildbearbeitung. Hier entscheiden der persönliche Geschmack, das Können und auch die Vision vom fertigen Bild. Für mich ist bspw. die Grenze bei übertriebenen HDRs erreicht. Diese sehen so übertrieben aus, dass ich den Look für schlicht dilettantisch halte. Ebenso empfinde ich bei enorm weichgezeichneter Haut oder leuchtenden Alien-Augen in der Porträtfotografie. Solche Bildbearbeitungen werden aber auch oft schlicht als Anfängerfehler gesehen.
Wie bereits gesagt gilt für mich die Devise: Weniger ist mehr. Von dem Weniger darf es dann aber doch ab und zu mal etwas mehr sein – so lange es (höchst subjektiv) gut aussieht.